Meister Eckart lebte im 13./14. Jahrhundert und sagte lange, bevor Fritz und Laura Perls die Gestalttherapie begründeten:
Die wichtigste Stunde ist stets die Gegenwart,
die wichtigste Person ist immer die, die mir gegenübersteht,
und das wichtigste Werk ist stets die Liebe.
Die wichtigste Stunde: Gestalttherapie und Gestaltberatung arbeiten am Phänomen, also dem, was im Moment erfahrbar, sichtbar, spürbar, erlebbar, besprechbar ist.
Die wichtigste Person: Gestalttherapie und Gestaltberatung sind dialogisch und suchen die Begegnung mit dem/den Menschen gegenüber
Das wichtigste Werk: Gestalttherapie und Gestaltberatung orientieren sich an der Idee des Feldes. Hier ist alles vorhanden; die Geschichte, alles, was sich je zugetragen hat, alle Wünsche, Ziele, Handlungen und Geschichten der Anwesenden wirken als Feldkräfte. Denen bin ich als Einzelne ausgesetzt. Gleichzeitig kann ich mich im Feld bewegen; ich kann mich zu dem verhalten, was ich vorfinde, und mich selbst in Position bringen.
Ich kann meine Geschichte nicht ungeschehen machen, aber je mehr ich sie als eine Wirkkraft unter anderen im Feld kennen und verstehen lerne, relativiert sich ihr Sog als einzige Wirkkraft in meinem Leben. Dann bin ich nicht mehr allein meiner Geschichte ausgeliefert und kann herausfinden, was für mich bedeutungsvoll ist, und was mein wichtigstes Werk ist, z. B. die Liebe.
Gestalttherapie und Gestaltberatung sind ressourcenorientiert. Sie suchen nicht die Fehler, sondern arbeiten mit der Paradoxie der Veränderung: Was ist, darf sein. Was sein darf, muss nicht festgehalten werden, sondern kann sich verändern. So lässt sich erkunden, was ist, z. B. Gefühle, Gedanken, Wünsche, Sorgen, Konflikte, Leiden, und welche Bedeutung das, was ist, für mich hat. Es geht darum, das Bedeutungsvolle ins Gewahrsein und zum Ausdruck zu bringen, sprachlich, als Musik, als Körperhaltung, als Verhaltensweise, was bisher häufig nur verklausuliert als körperliches oder psychisches Leiden in Erscheinung treten konnte.
Das, was ist, soll nicht verschwinden. Vielmehr geht es darum, das, was ist, in seiner jeweiligen persönlichen Bedeutung zu verstehen und in das Selbst der Person zu integrieren. Was auch immer war, es steht nach der Bearbeitung weiterhin als Ressource zur Verfügung, integriert in das Selbst der Person. Dabei wird Energie und Raum für Neues frei. Sie waren vorher gebunden in den Phänomenen, an denen festgehalten werden musste, obwohl sie vielleicht Leiden verursacht haben. Sie konnten bisher nicht integriert werden, weil sie bisher nicht verstanden waren, nicht mit Bedeutung versehen wurden. Durch die Integration entsteht Raum für neue Erfahrungen und Begegnungen; Raum für das Leben.
Dafür arbeiten wir gemeinsam an der sogenannten Kontaktgrenze (d. h. der Art und Weise, wie wir uns begegnen). Dabei spielt auch die Idee eines Hintergrundes (oder eines Feldes) eine Rolle: Energiereiche Figuren oder offene Gestalten treten als Phänomen hervor in den Vordergrund. Das kann eine Erinnerung sein, ein Gefühl, ein Missgeschick, alles, was unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. In der Begegnung können sich diese offenen Gestalten vervollständigen und, mit Bedeutung und Sinn versehen, als geschlossene Gestalt in den Hintergrund zurücktreten. Sie werden ins Selbst der Person integriert und stehen dort als Ressource zur Verfügung.
Wenn Sie mehr erfahren möchten und gerne lesen, hier eine Lektüreempfehlung:
Albrecht Boeckh: Gestalttherapie. Eine praxisbezogene Einführung. Psychosozial-Verlag 2015